Als mein Sohn vor gut 15 Jahren zur Schule kam, stellte sich bei der Einschulungsfeier der Schulleiter mit den Worten vor: Ich bin Euer „Ernst des Lebens“ (er hieß tatsächlich Ernst mit Hausnamen ;-)). Durch den Saal ging ein Lachen, dennoch spürte ich auch einen Kloß im Hals: mein Großer war doch noch so klein! Und was wurde von mir als „guter Mutter“ erwartet? Pädagogen sind ja bekannterweise die schlimmsten Eltern!
War er tatsächlich gut genug vorbereitet? Konnte er schon lange genug still sitzen? Ich hatte doch nie mit ihm Schreiben oder Rechnen geübt. Er hatte aber auch nie danach verlangt. Waren seine Klassenkameraden vielleicht schon viel weiter? Wird es mit den Hausaufgaben klappen?
Als wir dann den Klassenraum betraten hing da ein großes Schild an der Tafel (wohl eher für die Eltern als für die Schüler gedacht):
„Wir sind hier, um zu lernen und nicht um zu können.“
Sie schien ja recht vernünftig zu sein, unser Frau Lehrerin. Und als es dann zum Thema Hausaufgaben kam, stellte sie ganz klar, dass es die Aufgaben des Kindes und nicht der Eltern seien. Sie würde sich rechtzeitig bei uns melden, falls sie in irgendeiner Weise Unterstützung von uns bräuchte und so lange sollten wir unseren Kindern einfach mal vertrauen und ihnen die Verantwortung überlassen. Mir fiel ein Felsbrocken vom Herzen und ich hätte ihr auf der Stelle die „Füße küssen können“, so begeistert war ich von ihrer Einstellung.
So gingen die Grundschuljahre vorbei und ich habe tatsächlich nie etwas mit den Hausaufgaben zu tun gehabt. Mein Sohn wechselte auf das Gymnasium und ich sah keinen Grund nun etwas anders zu machen. Als ich beim ersten Elternabend in „meiner“ Klasse saß, fragte eine Mutter, ob sie eine Kopie der geplanten Lerninhalte haben könnte. Ich war echt erstaunt über so ein Anliegen. Bei den Elternsprechtagen hörte ich dann immer den Satz: „Also ihr Sohn könnte viel besser sein, wenn er sich nur etwas mehr anstrengen würde. Mit dieser Arbeitshaltung wird es später zu Problemen kommen“. Ich habe es ihm im Original-Ton weitergegeben und erntete immer nur ein breites Grinsen.
Die Probleme kamen dann tatsächlich: Am Ende der 7. Klasse fielen seine Leistungen ab: War er vorher überall ein glatter Zweier-Kandidat, gab es im Verlauf der nächsten Monate Dreien, Vieren und auch mal Fünfen. „Jetzt hast Du die Quittung für dein ewiges entspannt sein, dachte ich bei mir“ und entschloss mich, schulisch nun einen anderen Kurs zu fahren. Mein Sohn musste mir immer die Hausaufgaben zeigen. Waren sie nach meiner Ansicht zu schmierig oder chaotisch, mussten er sie eben noch einmal schreiben. Ich wusste jetzt immer rechtzeitig, wann die Arbeiten geschrieben wurden und wir haben geübt! Die Stimmung zwischen uns wurde immer genervter und ich hörte mich Sätze sagen wie: „So chaotisch wie es hier in Deinem Zimmer aussieht, machst Du auch Deine Hausaufgaben. Da wundert mich rein gar nichts mehr!“
Ich fühlte mich überfordert: freiberuflich selbständig mit meiner Familienwerkstatt, alleinerziehend mit meinen beiden Söhnen und nun noch das… Es war einfach schrecklich! Das ging gut 4 Monate so.
Dann hatte ich mein nächstes Modul für meine Ausbildung zur Familien- und Systemaufstellerin. Ich war froh über diese 3 Tage Auszeit. Einer der Teilnehmer war Schulpsychologe. Abends erzählte ich ihm meine Sorgen. Seine Antwort war kurz und bündig: „Du musst dich entscheiden, ob Du bereit bist, für bessere Noten auf dem Zeugnis die Beziehung zu deinem Sohn zu gefährden. Gib ihm die Verantwortung zurück und biete ihm die Möglichkeit, dich um Unterstützung zu fragen, wenn er sie braucht. Das schlimmste, was ihm höchstwahrscheinlich passieren kann ist, das er eine Klasse wiederholen muss. Dann holt er sich das Jahr wieder, was sie ihm mit G8 geklaut haben und ist außerdem um eine Lebenserfahrung reicher.“
Das saß! Das waren klare Worte! Konnte ich wirklich einem 12-jährigen die Verantwortung für seine Schullaufbahn übergeben? Hatte er genügend Weitblick, um einschätzen zu können, was er sich für seinen weiteren Lebensweg alles kaputt machen könnte ? Und wenn er dann tatsächlich eine Klasse wiederholen müsste und sich in seiner neuen Klasse total unwohl fühlen würde?
Meine Heimfahrt dauerte 3 h und so hatte ich ausreichend Zeit, all meine Zweifel und Fragen von allen möglichen Seiten zu betrachten. Zu Hause angekommen erzählte ich ihm dann von dem Gespräch, dem Ratschlag, den ich bekommen hatte und von meinem Entschluss, ihm ab jetzt wieder die Verantwortung für seine weitere Schullaufbahn zu übergeben. Ich spürte, dass es für mich und uns, für meinen „Kräfte-Haushalt“ und in unserer Familiensituation der richtige Weg war. Wieder einmal grinste mein Sohn breit und meinte nur: „Der Typ hat Ahnung. Guter Tipp!“
Es fiel mir nicht leicht, die Kontrolle aufzugeben. Immer wieder kamen mir Zweifel ob es der richtige Weg ist, vor allem, wenn ich Eltern erlebte, die es anscheinend schafften, in einer guten Atmosphäre ihr Kind bei den Hausaufgaben und den Prüfungsvorbereitungen zu unterstützen. Doch zugleich spürte ich auch, wie mit jedem Tag, die Beziehung zu meinem Sohn wieder leichter wurde und mein Vertrauen in ihn und seinen ganz eigenen Lebensweg wieder wachsen konnte.
So kehrte wieder Entspannung und Ruhe in unser Familienleben ein. Langsam aber stetig wurden seine Leistungen besser, die Rückmeldungen seiner Lehrer beim Elternsprechtag blieben gleich. Wenn sie mir wieder einmal sagten, dass viel mehr in ihm stecken würde, antwortete ich nur: “ Ich weiß, ich werde es ihm ausrichten“.
Von Herzen Eure Astrid